Führungswechsel in der Pandemie: Bei der Franchise-Fachmarktkette BabyOne haben die Geschwister Anna Weber und Jan Weischer die Nachfolge ihrer Eltern angetreten.

Fotos: Jochen Rolfes; Text: Daniel Boss

Zu Beginn des Interviews per Videoplattform hält Jan Weischer, leger gekleidet und offensichtlich in häuslicher Umgebung, sein jüngstes Kind auf dem Arm. Emil, anderthalb Jahre alt, döst friedlich vor sich hin. Im Laufe des Gesprächs werden auch Sohn Fritz sowie Paul und Elsa – die Kinder von Weischers ebenfalls zugeschalteter Schwester Anna Weber – auf der Bildfläche erscheinen. Fröhlich winken sie ihren Großeltern Gabriele und Wilhelm Weischer zu, die gemeinsam an einem weiteren Standort vor der PC-Kamera Platz genommen haben. Die Videokonferenz macht deutlich: Diese Unternehmerfamilie funktioniert, was positive Rückschlüsse auf das Familienunternehmen zulässt. Das ist nicht das schlechteste Signal für einen Mittelständler, dessen Kundschaft aus jungen Müttern und Vätern besteht – und der erst vor wenigen Monaten eine Zäsur erlebt hat. 

Anna Weber (39) und Jan Weischer (37) traten Anfang des Jahres offiziell die Unternehmensnachfolge bei der Franchise-Fachmarktkette BabyOne an. Damit lösten die Geschwister ihre Eltern als geschäftsführende Gesellschafter ab. Mehr als 20 Jahre lang hatte das Ehepaar an der Spitze von BabyOne gestanden und ein Unternehmen geformt, das heute als Marktführer in der DACH-Region gilt. Wie geplant, gaben die Weischers – trotz Corona-Krise – den Staffelstab an die nächste Generation weiter. Und damit die Verantwortung für 34 eigene Fachmärkte für den Baby- und Kleinkindbedarf. Hinzu kommen 68 Standorte, die von 27 Franchisenehmern geführt werden. Zu den Kernsortimenten zählen unter anderem Kinderwagen, Auto- und Fahrradsitze, Erstausstattung sowie Spielwaren. BabyOne beschäftigt gruppenweit rund 1.200 Mitarbeiter, in der Zentrale sind es 120. Der Umsatz im Jahr 2020 lag bei 224 Millionen Euro, davon kamen mehr als zehn Prozent über den Online-Handel. Seit Ende 2019 sind alle lokalen Handelspartner mit ihrem Sortiment im „Ship-from-Store-Modell“ an den BabyOne-Online-Shop angebunden. 

Auch wenn Fieberthermometer und Tonieboxen im ersten Jahr des Lockdowns reißenden Absatz fanden – Corona hat den Münsteranern zugesetzt. 2019 hatte der Umsatz noch bei 235 Millionen Euro gelegen. Jan Weischer spricht dennoch von einer „guten und soliden Situation“. Man sei in der glücklichen Lage, über eine gute Eigenkapitalquote zu verfügen. „Wir sind in der Vergangenheit stetig organisch gewachsen. Weniger als fünf Prozent Wachstumsrate waren in den letzten Jahren selten.“ Vor Corona waren er und seine Schwester von einem Zehn-Prozent-Plus für das vergangene Jahr ausgegangen. Stattdessen gab es eine Elf-Millionen-Delle. Der Hintergrund: Im ersten Lockdown wurden die Märkte für die Kleinsten noch nicht als systemrelevant eingestuft. Das änderte sich erst zum Herbst.

Corona hat eine neue Normalität geschaffen, zu der auch spielende Kinder rund um den digitalen Arbeitsplatz gehören. Wie so viele Familien „wuppt“ man die Herausforderungen der Kinderbetreuung gemeinsam. Die grundsätzliche Harmonie bedeutet nicht, dass Zoff zwischen den Generationen völlig ausbleibt. Auf die Frage, an welchen Themen sich die Geister scheiden, überlegt Dr. Anna Weber einige Sekunden und nennt dann das Homeoffice. Mit diesem Arbeitsmodell für die Firmenzentrale seien sie und ihr Bruder bei den Eltern „nicht unbedingt auf vollstes Verständnis“ gestoßen. „Man muss den Mitarbeitern den Spirit eines Unternehmens vermitteln“, so ihr Vater. Und das funktioniert nach Meinung des Seniorchefs „Bürotür an Bürotür“ nun mal am besten. Ein weiteres Reizthema ist die neu eingeführte Duz-Kultur bei BabyOne. „Wir haben uns dabei ausgeklinkt“, sagt Gabriele Weischer. Das Gros der Belegschaft siezt die alte Geschäftsführung also weiterhin – und umgekehrt natürlich. 

Gabriele und Wilhelm Weischer wollen nicht an den Entscheidungen ihrer Kinder herummäkeln. Sie sagen ihre Meinung, akzeptieren aber den Wandel, den sie selbst mit der Nachfolgeregelung eingeleitet haben. Dieser Prozess bewegt sich laut Anna Weber zwischen „Evolution und Revolution“: Alte Zöpfe werden abgeschnitten, ohne gleich alles über Bord zu werfen. Drei Jahre nahmen sich alle Zeit für den Übergang. „Nach dem ersten Jahr hätten sie auch straffrei wieder aussteigen können“, betont Wilhelm Weischer lächelnd. Er selbst hatte mit 24 Jahren das Eisen- und Spielwarengeschäft des Vaters übernehmen müssen. Diesen Druck wollte er auf seine eigenen Kinder nicht ausüben.

Wie man sieht, haben sie von der väterlichen Ausstiegsklausel keinen Gebrauch gemacht. Nun haben Anna Weber und Jan Weischer das Sagen. Das aktuelle Großprojekt: Sie wollen eine völlig neue IT-Systemlandschaft aufbauen. Sie soll als Basis für das Omnichannel-Konzept dienen, das aktuell weiterentwickelt wird. Um jeden Mitarbeiter zu erreichen und ihre Idee zu erklären, haben sie ihr Strategiepapier in Form eines Buches herausgebracht: „Abenteuer Zukunft“, so der Titel.

Tabu sind für beide Kinder die traditionellen Unternehmenswerte. „So sind uns beispielsweise langjährige Partnerschaften mit Lieferanten wichtiger als eine Maximierung des Gewinns“, gibt Dr. Jan Weischer ein Beispiel. Auch den Mitarbeitern gegenüber fühle man sich sehr verpflichtet. Das haben die Eltern vorgelebt. Für Wilhelm Weischer wäre ein Verkauf an Private Equity mit unsicherer Zukunft für das Lebenswerk nach eigener Aussage niemals infrage gekommen. „Obwohl es wahrscheinlich sehr lukrativ gewesen wäre.“

Der Weiterbestand hat in der Familie oberste Priorität. Daher fing das Unternehmerpaar mit Anfang 60 an, sich über die Nachfolge konkrete Gedanken zu machen. Das ist nun fünf Jahre her. Zunächst sah es nicht nach einer innerfamiliären Lösung aus. Alle vier Kinder, es gibt noch einen jüngeren Sohn und eine jüngere Tochter, gingen eigene Wege. Und das sehr erfolgreich. Nach ihrem BWL-Studium in Köln und Mailand schrieb Anna Weber ihre Promotion über authentische Führung. Fünf Jahre lang war sie Projektmanagerin „Leadership, Talent & Engagement“ beim Telekommunikationskonzern Vodafone in Düsseldorf. 2017 stieg sie in den elterlichen Betrieb ein und übernahm zunächst das Business Development. 

Jurist Jan Weischer, ebenfalls mit Doktortitel, arbeitete drei Jahre als Rechtsanwalt bei der „Big Four“-Kanzlei KPMG. Zu seinen Mandanten zählten Online-Händler, Softwarefirmen und Start-ups, die er zu Fragen rund um das Themengebiet „Intellectual Property“ sowie Urheber-, Marken-, Design- und Softwarerecht beriet. Auch auf diplomatischem Parkett hat er sich umgetan: Im Auswärtigen Amt in Berlin und in der Deutschen Botschaft im uruguayischen Montevideo sammelte er Eindrücke und Erfahrungen. Er entschied sich jedoch gegen ein Leben im Flieger zwischen den Metropolen dieser Welt und kehrte nach Münster zurück. Wie seine Schwester stieg er 2017 in den elterlichen Familienbetrieb ein und leitete dort zunächst die Rechtsabteilung.

Erst als sie ihr erstes Kind bekommen habe, habe sich ihre Einstellung zum Beruf geändert, sagt  Anna Weber. Sie habe in ihrem Job bei Vodafone zwar sehr viel gearbeitet, doch sie habe erkannt, „dass ich dort Dinge nicht so bewegen konnte, wie ich eigentlich wollte“. Bei Bruder Jan war es ähnlich: „Ich habe als Junganwalt in einer großen Kanzlei zwar auch sehr viel zu tun gehabt, doch hat mir das Gestalterische in meinem Beruf gefehlt.“ In enger Abstimmung mit der Familie hätten seine Schwester und er dann die Unternehmensnachfolge angetreten. Die beiden anderen Geschwister gehören ebenfalls zum Kreis der Gesellschafter, beteiligen sich aber nicht am operativen Geschäft. Der Bruder ist Architekt, die Schwester macht eine Ausbildung zur Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche.

Die Kinder sind mit der Selbstständigkeit ihrer Eltern aufgewachsen. 1992 stieg Wilhelm Weischer als erster Franchisenehmer in das von Karl-Wilhelm Röhricht gegründete Unternehmen ein. 1998 wurde er geschäftsführender Gesellschafter der BabyOne-Franchise- und Systemzentrale, seine Frau trat fünf Jahre später in die Geschäftsführung ein. Trotz der vielen Arbeit seien ihre Eltern immer präsent gewesen, betont Tochter Anna. Besonders eine Episode ist ihr in Erinnerung geblieben: In all den Jahren habe ihr Vater nur einen einzigen Geburtstag von ihr verpasst, wegen eines Krisentreffens in seiner Funktion als Vedes-Aufsichtsrat in Nürnberg. „Dafür hat er mir 15 rote Rosen geschickt“, erzählt sie. Die getrockneten Blumen bewahrte der Teenager wochenlang im Kinderzimmer auf.

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