Text: Petra Walther; Foto: Lichtbildmanufaktur

Wie können Unternehmer nach ihrer Firmenübergabe neue Ziele finden? Der Psychologe und Coach Dr. Christopher Rauen gibt Impulse.

Herr Dr. Rauen, wenn ein Unternehmer bzw. eine Unternehmerin in den Ruhestand tritt, hat er bzw. sie schon ein wichtiges Ziel im Leben erreicht. Schließlich hinterlässt dieser Mensch ein Lebenswerk. Wie wichtig ist für ihn vor diesem Hintergrund das Loslassen vom Alten, um sich neue Ziele zu setzen?

Das Loslassen ist extrem wichtig und sollte nicht nur eine Idee bleiben. Denn: Es geht ja um einen neuen Lebensabschnitt. Allerdings fällt es den meisten Unternehmern nach der Unternehmensübergabe gar nicht so leicht, loszulassen – selbst wenn es um banale Dinge im Tagesablauf geht. Diese werden häufig sehr unterschätzt.

Was meinen Sie damit?

Bei Unternehmern ist der gesamte Tagesablauf meist sehr strukturiert. Mit dem Ende des Unternehmertums fällt das weg. Die Frage ist, was dann noch bleibt? Nicht wenige tendieren aufgrund einer eventuellen Leere zunächst dazu, immer wieder im Unternehmen nachzuschauen, ob alles gut läuft. Wenn der Unternehmer dann noch von ehemaligen Mitarbeitenden angerufen wird, weil sie Rat suchen oder vielleicht nicht mit dem Nachfolger einverstanden sind, werden beim Unternehmer schnell wieder alte Instinkte geweckt, da Angst um das Lebenswerk aufkommt. Viele ehemalige Unternehmer verstehen sich verständlicherweise – auch wenn sie eigentlich loslassen wollen – als Hüter von dem, was sie geschaffen haben.

Das heißt letztlich, das Loslassen sollte das erste Ziel dabei sein, wenn der Unternehmer/die Unternehmerin sich neue Ziele setzen möchte?

Absolut. Wobei beides im Prinzip Hand in Hand geht. Ein Teil des Loslassens besteht ja schließlich darin, dass man sich etwas anderes vornimmt. Und sich einer anderen Sache zuzuwenden ist aktives Loslassen von dem, was man zuvor fokussiert hat.

Haben Sie eine Empfehlung, um das aktive Loslassen weiter zu fördern?

Mein Rat ist, sich nicht nur vorzunehmen, dies und jenes nicht mehr zu machen, sondern sich zu fragen, was man stattdessen machen will. Wie soll der Tag jetzt aussehen? Und was kann man frühzeitig unternehmen, um sich darauf vorzubereiten?

Wie gelingt es, sich neuen Zielen möglichst wenig emotional aufwühlend zu nähern?

Emotionen sind immer mit im Spiel. Selbst wenn man versucht, sie zu unterdrücken und Abschiedsschmerz zu vermeiden, stehen sie immer irgendwie unterdrückt im Mittelpunkt. Ich empfehle daher, die Emotionen nicht auszublenden, sondern sie – insbesondere die positiven Emotionen – zu nutzen. Das heißt: sich rechtzeitig zu überlegen, woran man Freude hat. Welche Hobbys habe ich eigentlich? Was ist noch an Kontakten da, die ich schon immer mal wieder aufleben lassen wollte? Gibt es noch Lebensträume? Reisewünsche? Und gibt es Dinge, die man noch lernen möchte? Etwa eine Fremdsprache – nicht aus beruflichem Interesse heraus, sondern weil man das schon immer erlernen wollte, aber nie dazu gekommen ist. Es ist gut, Themen, für die man sich interessiert, nachzugehen. Ein Klient von mir ist so z. B. nach seinem Rückzug aus seinem Unternehmen zum Experten für das alte Ägypten geworden.

Setzen sich Unternehmer andere Ziele als andere Menschen?

Das jahrelange Unternehmerdasein führt in der Regel dazu, dass ehemalige Unternehmer quasi permanent darüber nachdenken, wie man Dinge schneller, einfacher und effizienter machen kann. Das ist ihnen über die Jahrzehnte in Fleisch und Blut übergegangen. Schließlich haben sie häufig täglich zehn Stunden und mehr gearbeitet. Um alles unter einen Hut zu bekommen und quasi zu überleben, ist ihr Leben auf Effizienzsteigerung ausgerichtet. Von diesem Effizienzdenken wieder herunterzukommen fällt vielen sehr schwer.

Das hört sich dramatisch an …

Das ist es in gewisser Weise auch, da bei allem, was man tut, ein Leistungsgedanke dabei ist. Überall, wo man hinschaut, kommen Überlegungen auf, wie etwas noch besser gemacht werden könnte. Ein Klient hat mir beispielsweise erzählt, dass er bei einem Restaurantbesuch eigentlich nur einen schönen Abend haben möchte, sich dann aber immer wieder dabei ertappt, dass er die Betriebsabläufe im Restaurant auf ein effizienteres Vorgehen hin beobachtet.

Wie kann einem solchen Verhalten gegengesteuert werden?

Wichtig ist, dieses Verhalten erst einmal als Stärke zu sehen. Als Fähigkeit, Dinge zu erkennen. Freilich verhindert diese Fähigkeit auch, loszulassen und bei sich anzukommen. Deswegen empfehle ich, mit einer gewissen Milde in sich hineinzulächeln und zu sagen: „Ich habe das an mir wahrgenommen, und damit ist es auch gut. Jetzt kann ich weiteressen und den Abend genießen.“ Das heißt, es geht darum, seine Muster zu erkennen und sie zu akzeptieren. Gefragt ist gewissermaßen eine Versöhnung mit den eigenen Eigenarten. Diese zu kanalisieren, anstatt sie abschalten zu wollen und sich durch Widerstand ständig anzustacheln, ist der richtige Weg.

Wie wichtig ist eine professionelle Begleitung auf dem Weg, sich neue Ziele zu setzen?

Professionelle Beratung ist hier nicht unbedingt gängig, da es um ein sehr persönliches Thema geht. Ich nehme aber eine zunehmende Offenheit wahr, sich auch mit persönlichen Themen an einen Berater bzw. Coach zu wenden. Dann wird vorwiegend über das Thema „Werte“ im Sinne von „Was ist mir wirklich wichtig?“ gearbeitet. Häufig kommen auch Fragen auf wie „Was bleibt (von mir)?“ und „Wofür will ich in Erinnerung bleiben?“. Für viele Unternehmer ist es gar nicht so einfach, sich selbst einen Wert beizumessen, wenn sie nicht performen. Es gilt, sich dem durch Fragen anzunähern: Will ich mir jetzt erst einmal selbst der Nächste sein oder mache ich etwas für die Familie? Oder will ich viel mit Freunden unternehmen? Gefällt mir das Gefühl von Freiheit?  Da stecken ja jeweils bestimmte Werte dahinter. Und Werte sind situationsübergreifend leitende Ideale, an denen man sich orientieren kann im Hinblick auf eine positive Zukunft. 

Vita Dr. Christopher Rauen:

Dr. Christopher Rauen ist Diplom-Psychologe und arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Business-Coach. Zu seinen Klienten zählen vorwiegend Geschäftsführer, Vorstände und Unternehmer. Bekannt ist Dr. Christopher Rauen insbesondere auch durch seine zahlreichen Coaching-Bücher und seine Tätigkeit als erster Vorsitzender des Vorstands des Deutschen Bundesverbandes Coaching e.V.

Weitere Nachrichten

Aktuelles

Berater

Finden Sie den für Ihre Situation passenden Berater in unserem Beraterpool