Foto: Klingele

Jan Klingele leitet in dritter Generation den Wellpappe- und Verpackungshersteller Klingele Paper & Packaging Group, der dieses Jahr 100-Jähriges feiert. Die Branche ist hart und umkämpft. Dennoch ist Klingele überzeugt: Es lohnt sich, nicht nur für sich selbst zu fechten.

Wenn es um die Ersetzbarkeit des eigenen Geschäftsmodells geht, macht sich Dr. Jan Klingele keine falschen Vorstellungen. Der 57-Jährige ist Geschäftsführender Gesellschafter der Klingele Papierwerke GmbH & Co. KG, eines Herstellers von Papier und Verpackungslösungen aus Wellpappe mit Hauptsitz in Remshalden bei Stuttgart, insgesamt rund 2.500 Mitarbeitern und 820 Millionen Euro Umsatz. „90 Prozent unserer Produkte können 90 Prozent unserer Wettbewerber auch machen – und von denen gibt es viele“, sagt Klingele. Allein in Deutschland sei man mit an die 30 Papierfabriken für Wellpappenrohpapier und rund 120 integrierten Wellpappenwerken von Wettbewerbern geradezu umzingelt. Klingele beziffert den eigenen Marktanteil hier auf etwa 5 Prozent, die Margen sind gering – „trotz erheblicher Anstrengungen, sich über Dienstleistungen und Service zu differenzieren, läuft man immer Gefahr, auf den Preis reduziert zu werden“. Verschärfend kommt hinzu: Die Papier- und Wellpappenherstellung ist sehr ressourcen- und energieintensiv.

Für Jan Klingele bedeutet das den Kampf an verschiedensten Fronten. Seit er 1992 in die Verantwortung kam, treibt er die Expansionsstrategie voran, die sein Vater in den sechziger Jahren begründet hat und die das Unternehmen inzwischen auch in so herausfordernde Märkte wie Mauretanien, den Senegal und Kuba geführt hat. Zugleich setzt er sich fortwährend mit Lösungen zur Einsparung von Energie in der Produktion und zur Gewinnung von Strom und Wärme aus erneuerbaren Quellen auseinander, vom 3-Megawatt-Windrad nahe der Papierfabrik Weener bis zum Projekt eines neuen Biomassekessels für ein gerade zugekauftes Werk in Brasilien. Und als sei das nicht bereits mehr als ein Fulltime-Job, steckt Jan Klingele seine Energie zusätzlich in Verbandsarbeit und Kooperationen auf internationaler Ebene. Was verspricht er sich davon?

Zu klein, zu unbedeutend

Jan Klingele macht früh die Erfahrung, dass die Möglichkeiten als Einzelkämpfer beschränkt sind. Sein erstes Betätigungsfeld bei Klingele ist die IT. Schon als Schüler tritt er in Informatik bei „Jugend forscht“ an, in der Oberstufe legt ihm sein Vater nahe, sich um die IT bei Klingele zu kümmern – „er hat damals natürlich EDV gesagt“. So richtig zum Zuge kommen seine Computerkenntnisse Ende der neunziger Jahre, da ist Klingele längst Geschäftsführer. Zu dem Zeitpunkt arbeitet die Gruppe in der Finanzbuchhaltung und anderen Standardbereichen mit SAP. Das integrierte System funktioniert sehr gut, und Klingele wünscht sich, auch die Wellpappenfunktionen – von der Preisfindung über die Produktionssteuerung bis hin zu Lager und Versand – in SAP abzubilden. Doch die Walldorfer winken ab: Das Projekt sei uninteressant, die Branche zu unbedeutend. 

Klingele lässt sich nicht entmutigen. Gemeinsam mit externen SAP-Beratern entwickelt sein Team einen Prototyp – und zwar einen für alle: „Uns war klar: Das müssen wir eigentlich auch anderen Wellpappenherstellern zugutekommen lassen“, sagt er. „Wenn wir das machen, dann gleich als Industrielösung.“ Der Plan funktioniert, das System läuft gut, und mit der Zeit steigen immer mehr Konkurrenten auf das SAP-System mit Klingele-Kern um. 

Solidarität ist wichtig für Jan Klingele, aber er ist kein Altruist und tut auch gar nicht so. Zeit und Geld, die er in die Lösung gesteckt hat, zahlen sich für ihn mehrfach aus. „Zum einen bekommen wir natürlich Lizenzgebühren“, sagt er. Noch wichtiger aber sei, dass die Branche als ernster Gesprächspartner und Kunde wahrgenommen wird. „Inzwischen gibt es so viele User aus unserer Branche, dass auch SAP auf unsere Wünsche eingeht.“ Und nicht zuletzt habe ja auch Klingele etwas davon, wenn die Konkurrenz richtig kalkuliere.

Zusammen erreicht man mehr – dieser Grundsatz wird in Jan Klingeles Tätigkeit immer wieder sichtbar. Seit inzwischen 14 Jahren macht er sich die gezielte brancheninterne Zusammenarbeit für das eigene Geschäft zunutze. „Große Markenartikler wie Nestlé oder Danone neigen dazu, europaweit auszuschreiben – das können wir allein nicht stemmen“, sagt er. Deswegen habe Klingele sich im Jahr 2006 mit drei weiteren Familienunternehmen aus Italien, Spanien und Belgien zur Allianz der „Blue Box Partners“ zusammengetan. Sie bilden eine europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV), die in 24 europäischen Ländern präsent ist, über 87 Verarbeitungswerke und acht Papierfabriken verfügt und mit fast 9.800 Mitarbeitern zu den Top 3 der Branche in Europa gehört. „Gemeinsam decken wir Europa bis auf wenige Lücken ziemlich gut ab“, sagt Klingele.

Neben seinen unternehmerischen Aufgaben ficht Klingele seit Jahren auch auf Verbandsebene für seine Branche – ein Job, der nach eigener Schätzung locker 10 Prozent seiner Zeit beansprucht. Von 2010 bis 2016 war er Vorsitzender des deutschen Verbands der Wellpappenindustrie (VDW), seit 2012 war er Vizepräsident und von 2016 bis 2020 Präsident des europäischen Dachverbands FEFCO. Im Mai 2020 hat er sich zum Chairman des Weltverbands für die Wellpappenbranche ICCA wählen lassen.

Auch mit diesem Engagement setzt Klingele eine Familientradition fort: Sein Vater und Vorgänger Werner F. Klingele war selbst jahrelang VDW-Präsident und hat den Europaverband 1952 mitgegründet, ebenso den Weltverband neun Jahre später. Gerade auf europäischer Ebene die Rahmenbedingungen für die Branche mitzugestalten ist für Klingele von zentraler Bedeutung. „Die EU-Gesetzgebung kann das wirtschaftliche Leben in den Mitgliedsstaaten gewaltig beeinflussen“, sagt er. Auf der Ebene des Weltverbands gehe es eher um Koordination und Imagearbeit: Klingele will das Material Wellpappe, das anders als Plastik komplett biologisch abbaubar ist und hohe Recyclingquoten aufweist, international als Teil der Lösung des Verpackungsproblems positionieren. 

Zugleich ergeben sich aus der Arbeit in der Interessenvertretung ganz handfeste Vorteile für die Klingele Paper & Packaging Group. Schon seinem Vater habe die Verbandsarbeit bei den frühen Schritten der Expansion den Weg geebnet, erzählt Klingele. So sei die Beteiligung am heutigen Klingele-Wellpappenwerk auf Teneriffa 1965 zustande gekommen, weil die vorherigen Eigentümer händeringend einen erfahrenen Partner suchten – und Werner F. Klingele aus seiner Tätigkeit als FEFCO-Präsident kannten. Diese Erfahrung hat auch Jan Klingele schon gemacht. Im Juni gab die Gruppe den Kauf einer Kraftliner-Papierfabrik im brasilianischen Nova Campina bekannt, die Frischfaserpapiere aus FSC-zertifiziertem Eukalyptus- und Kiefernholz herstellt – ein strategischer Schritt, um die Rohstoffversorgung Klingels und der „Blue Box Partners“ zu verbessern. Für Klingele ist klar: „Wenn der bisherige Eigentümer uns nicht vorher schon über die Verbandsarbeit gekannt hätte, wäre der Deal – insbesondere in Zeiten des Corona-Lockdowns – nicht zustande gekommen.“

Quelle: wir Magazin

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