Interne Nachfolge

Generation Sturm und Drang: Die neue Lust an Familienunternehmen

Bild: Fridrichshafener Institut für Familienunternehmen im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen, PwC

Düsseldorf Maximilian Viessmann stand die Welt offen. Er studierte Wirtschaftsingenieurwesen, wurde Berater bei der Boston Consulting Group, unterstützte als Business-Angel junge Unternehmen. Gern hätte er noch mehr Erfahrungen gesammelt, das räumt er freimütig ein. Doch als ihn sein Vater Martin bat, Verantwortung im Familienunternehmen zu übernehmen, zögerte er nicht lange.

Ihm war klar, dass er für die Führung des Unternehmens Fähigkeiten mitbringt, die jene seines Vaters ergänzen. Und das Know-how des Juniors ist gefragt. Derzeit wandelt sich das Unternehmen vom Heizungshersteller zum Wärme- und Kältespezialisten und treibt die Digitalisierung voran.

Christian Berner hatte geplant, seine Doktorarbeit zu schreiben. Doch als ihn sein Vater Albert ins Unternehmen rief, tauschte er das Studium fast nahtlos mit dem CEO-Posten. Das nach der Familie benannte Unternehmen handelt unter anderem mit Ersatzteilen und Verbrauchsmaterial für Autowerkstätten oder die Bauindustrie.

Berner ist Hersteller von „Caramba“, dem legendären Schmiermittel. Beim Einstieg des Juniors setzte Berner rund eine Milliarde Euro um, schrieb aber bei gut der Hälfte der Tochterfirmen rote Zahlen. Die Firma brauchte mitunter drei Jahre, um Stellen zu besetzen.

Agilität war angesagt, neues Denken im Vertrieb, neue Geschäftsmodelle. Christian Berner verlegte einen Teil der Konzernzentrale nach Köln, um den Fachkräftemangel zu beheben. Für den Vater wäre dies undenkbar gewesen. Künzelsau, die Gründungsstadt des Unternehmens, führte den Senior als Ehrenbürger.

Maximilian Viessmann und Christian Berner hätten problemlos anderswo Karriere machen können. Die Unternehmernachkommen sind Mitglieder einer Nachfolgergeneration, deren Ausbildung in Deutschland nie besser war. Dennoch war es ihnen wichtig, die Verantwortung im Familienunternehmen zu übernehmen.

Mit ihren Entscheidungen liegen beide im Trend. Immer mehr Unternehmernachkommen können sich heute vorstellen, der eigenen Firma künftig in einer Führungsfunktion zu dienen. Das bestätigt eine aktuelle Umfrage des Friedrichshafener Instituts für Familienunternehmen, das im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen bei mehr als 500 Unternehmersprösslingen anklopfte.

Von ihnen gaben mehr als 70 Prozent an, dass sie spätestens mit 40 die Verantwortung im Familienunternehmen übernehmen möchten. Das Erstaunliche: Vor zehn Jahren lag die Quote gerade einmal halb so hoch.

Flexiblere Vorstellung von Nachfolge

Eine Umfrage der Beratungsgesellschaft PwC unter der „Next Generation“ der Familienunternehmer bestätigt diesen Trend. Laut der Studie, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt, sind 89 Prozent der Befragten bereits im Familienunternehmen tätig. Und die Hälfte von ihnen plant, dort auch die Geschäftsführung zu übernehmen.

Gleich mehrere Gründe erklären den neuen Trend. Erstens ist seither die Zahl der potenziellen Nachfolger gestiegen, weil mit dem Lebensalter der Unternehmen meist die Zahl der Familienmitglieder wächst. Zweitens: Das Prinzip „Der älteste Sohn übernimmt das Unternehmen“, von Fachleuten als „Primogenitur“ bezeichnet, wird zum Auslaufmodell.

Beispielhaft steht dafür Anna Maria Braun, die 2019 beim Medizintechniker B. Braun Melsungen in sechster Generation die Vorstandsspitze übernahm, obwohl ihr ein Jahr älterer Bruder Otto Philipp bereits im Vorstand saß. Dass auch Töchter eine Chance erhalten, vergrößert den Pool.

Doch der wichtigste Grund: Die Unternehmernachkommen gehen mit dem Thema Nachfolge heute flexibler um als noch die Generation ihrer Eltern. So wird der klassische Patriarch, der das Unternehmen allein führt, zum Auslaufmodell. Die Familienunternehmer von morgen sind Teamplayer, die kein Problem damit haben, die Firma zusammen mit angestellten Führungskräften oder weiteren Familienmitgliedern zu führen.

Auch das belegen die Umfragen. So sinkt der Anteil der Unternehmerkinder, die meinen, nur ein einzelnes Familienmitglied könne in die Geschäftsführung eintreten, von 35 auf 22 Prozent. Der überwiegende Rest dagegen geht davon aus, dass sie eher in einem Team das Unternehmen führen werden – zusammen eben mit Fremdgeschäftsführern, Geschwistern, Cousinen oder Cousins.

Führung heißt nicht gleich Geschäftsführung

„Das althergebrachte Modell, wonach ein Familienmitglied die alleinige Verantwortung in der Geschäftsführung übernimmt, verliert an Bedeutung“, bestätigt Stefan Heidbreder, Geschäftsführer der Stiftung Familienunternehmen.

Dafür gibt es prominente Beispiele: die Cousins Jens und Felix Fiege vom gleichnamigen Kontraktlogistiker, Alexander und Konstantin Sixt vom gleichnamigen Mobilitätsdienstleister. Auch die beiden Söhne von Roland Mack, dem Eigentümer des Europaparks Rust, sind inzwischen in der Geschäftsführung des Freizeitparks. Sie heißen Thomas und Michael. Ihre Schwester Ann-Kathrin ist ebenfalls im Unternehmen aktiv.

Oder die Geschwister Philip Harting und Maresa Harting-Hertz vom weltweit führenden Anbieter industrieller Verbindungstechnik aus Espelkamp: Dort führt der Bruder die Geschäfte und die Schwester die Finanzen. Beim Audiospezialisten Sennheiser teilen sich nicht nur die beiden Brüder Andreas und Daniel den Posten des Vorstandschefs, sie haben auch vier Fremdgeschäftsführer an ihrer Seite.

Schaut man genauer in die Studien, offenbart sich, dass Führungsfunktion nicht unbedingt Geschäftsführung bedeutet. Seit Jahren beobachten Experten, dass immer mehr Unternehmernachkommen direkt die Aufsichtsgremien ansteuern und nicht erst operativ an der Firmenspitze agieren.

Der Aufsichtsrat Nikolaus Belling des Automatisierungsspezialisten Lenze aus dem niedersächsischen Aerzen bringt es auf den Punkt: „Wenn ein Gesellschafter aus unserer Familie so gut ist, dass er oder sie Lenze führen kann, dann ist er oder sie in der Funktion als Gesellschafter noch wertvoller.“

Was er meint: Die großen Linien werden auch in den Familienunternehmen zunehmend in den Aufsichtsräten festgelegt. Das allerdings geht nur, wenn sich diese Gremien, die früher in Familienunternehmen oft mit dem Hausbanker, dem Wirtschaftsprüfer und dem Skatfreund des Eigentümers bestückt waren, ebenfalls professionalisieren.

Beispielhaft zeigt sich das in der Bitburger-Gruppe. Dort führt Jan Niewodniczanski als Familienmitglied der siebten Generation das operative Braugeschäft. Sein Bruder Matthäus bestimmt die größeren strategischen Linien. Er leitet die Holding und kümmert sich in der Funktion insbesondere um die Beteiligungen.

„Wir haben unterschiedliche Rollen“, sagt Matthäus Niewodniczanski. Und er stellt klar: „Bei uns basiert Grundsätzliches auf dem Konsensprinzip.“ Wenn nicht alle 35 Gesellschafter zu überzeugen sind, dann wird auch schon mal auf ein Vorhaben verzichtet.

Die wichtige Frage aber, die sich viele Unternehmer aktuell nicht mehr stellen müssen, ist, ob ihre Nachkommen dem Unternehmen wirklich Mehrwert bieten. Denn das tun die allermeisten neben ihrer durchweg guten Ausbildung schon deshalb, weil sie häufig „Digital Natives“ sind, also den Umgang mit IT seit Kindesbeinen beherrschen. Viele gelten zudem als Kosmopoliten.

Mehrwert durch „Digital Natives“

So wundert es nicht, dass die PwC-Studie zur „Next Generation“ in den Familienunternehmen ein durchaus verbreitetes Vorurteil widerlegt, nämlich, „dass die junge Generation sich vor allem selbst verwirklichen möchte, statt am Erhalt ihres Familienunternehmens mitzuarbeiten“, sagt Dominik von Au, bei PwC verantwortlich für das Thema Family-Governance. „Die kommende Generation will Verantwortung in einer Zeit tief greifender Disruption übernehmen“, beobachtet er. Sie bringe zahlreiche Eigenschaften mit, die sie dafür prädestinierten, den Wandel zu gestalten.

94 Prozent der von PwC befragten möglichen Nachfolger glauben, dass sie den Familienunternehmen als Digital Natives Mehrwert bieten können. Viele von ihnen hatten bereits laut einer Studie vor zwei Jahren erkannt, dass ihre Familienunternehmen digital schlecht aufgestellt sind, berichtet Uwe Rittmann, Leiter Familienunternehmen und Mittelstand bei PwC.

Und auch eine andere Qualifikation bringen die Nachfolger meist mit: eine größere Sensibilität für die Themen, die der jungen Generation von Konsumenten wichtig sind. Hierzu zählen Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung. So sehen sich viele Familienunternehmer zwar der Tradition verpflichtet, aber gesellschaftliche Themen über die eigene Heimatregion hinaus werden wichtiger.

Elterngeneration hört nicht zu

Laut Friedrichshafener Institut für Familienunternehmen sagen mehr als vier Fünftel der Befragten, dass es ihnen wichtig ist, dass sie „ein reines Gewissen haben“, 90 Prozent wollen so leben, dass „der Mitmensch nicht geschädigt wird“. Beide Werte sind im Verlauf der vergangenen zehn Jahre stetig gestiegen. Gedanklich sind viele Nachfolger den Klimaaktivisten und den Fridays-for-Future-Protesten damit womöglich näher als den eigenen Eltern.

Bedenklicherweise offenbart die PwC-Auswertung jedoch auch, dass die Elterngeneration die Nachfolger nicht selten ausbremst. Weltweit sagt mehr als jeder dritte potenzielle Nachfolger, dass er mit seinen Ideen kein Gehör in der Familie findet, in Deutschland ist es jeder vierte.

Bei manchen beeinträchtigt dies offenbar das Selbstvertrauen. Laut PwC-Studie ist mehr als die Hälfte der nächsten Generation von Selbstzweifeln geplagt. Die Frage sei, merkt PwC-Experte Rittmann an, ob es gesunde Selbstzweifel sind, die vor Selbstüberschätzung schützen – oder ob solche Selbstzweifel daraus resultieren, dass die Next Generation vom Senior bewusst klein gehalten wird. Den zweiten Fall, klagt Rittmann aus Erfahrung, gebe es „leider immer noch und immer wieder“.

Quelle: Handelsblatt

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