Foto: A.C. Krings
Die Diplom-Kauffrau Isabelle Ziegler hat sich auf Coaching für Familienunternehmen spezialisiert. Hier beschreibt sie beispielhaft die Entwicklung einer nächsten Generation von Führung und Zusammenarbeit.
Lebenswerk: Frau Ziegler, wie offen sind Familienunternehmen gegenüber externen Coaches und Beraterinnen wie Ihnen?
Isabelle Ziegler: Ich würde sagen, Familienunternehmen sind zurückhaltender und schauen vor allem viel genauer hin, wen sie sich „ins Haus holen“ – fachlich, aber auch von der Haltung her. Und das gilt insbesondere dann, wenn es um die Themen Organisation und Führung geht.
Lebenswerk: Können Sie das an einem Beispiel veranschaulichen?
Isabelle Ziegler: Ja, gern. Ich denke da beispielsweise an einen Fall, der vor etwas mehr als einem Jahr begann. Im Mittelpunkt steht Alexandra, deren richtiger Name natürlich anders lautet. Sie ist sehr smart und blickt mit Mitte 30 auf eine exzellente Ausbildung und zehn Jahre Berufserfahrung in verschiedenen Unternehmen zurück. Zur Zeit der Nachfolge standen ihr viele Türen auf dem Markt offen. Der Einstieg ins väterliche Unternehmen erschien ihr dagegen wie eine Einbahnstraße.
Lebenswerk: Warum hat sie sich dennoch zu diesem Schritt entschlossen?
Isabelle Ziegler: Sie nannte es eine Mischung aus Stolz, Pflichtgefühl und Gestaltungsfreude. Letzten Endes war es wohl ihre Überzeugung, dass es keinen Geeigneteren als sie für diese Aufgabe gab. Im Unternehmen war bereits ihr Cousin aktiv, der mit der Verantwortung als Technischer Leiter und Mitglied der Geschäftsführung zufrieden war und kein Interesse am CEO-Posten angemeldet hatte. Als Alexandra einstieg, um nach gut sechs Monaten den Vater offiziell abzulösen, begann sie zusammen mit der Geschäftsleitung und einigen anderen Führungskräften, die Unternehmensstrategie zu überarbeiten. Hier hatte sie klare Vorstellungen. Strategieentwicklung war auch zu ihren Zeiten als angestellte Beraterin der Schwerpunkt gewesen.
Lebenswerk: Das klingt doch geradezu nach einer Bilderbuchnachfolge …
Isabelle Ziegler: Und dennoch wurde es binnen weniger Monate in der Belegschaft unruhiger. Alexandra wusste einerseits, dass sie irgendetwas ändern musste. Andererseits war noch nicht klar, wie und was genau: Herrscht seitens der Belegschaft Angst vor Veränderungen? Sind es Bedenken bezüglich ihrer Fähigkeiten? Ist die Geschäftsleitung offen für „weiche“ Themen wie Führung und Zusammenarbeit? Wie skeptisch ist sie bei externer Begleitung? Eine große Beratung kam für sie nicht infrage. Doch sie war über eine Empfehlung mit mir in Kontakt getreten und wollte testen, ob sie mit „Minimalinversion“ die Geschäftsleitung besser hinter sich bringen konnte. Es folgten mehrere Vorgespräche mit Alexandra selbst, ihrem Cousin, der Personalleiterin und mit dem langjährigen Prokuristen. Auf Basis dieser Vorgespräche entwickelte ich eine Ablaufdramaturgie für eine erste Zusammenkunft in Form eines Workshops mit der gesamten Geschäftsleitung.
Lebenswerk: Was ist mit Ablaufdramaturgie gemeint?
Isabelle Ziegler: Die Ablaufdramaturgie ist mehr als eine Agenda. In ihr ist das Ziel jeder Fragestellung oder Übung formuliert sowie die dafür geplante Zeit und die konkrete Moderations-Methode. Sie gab der Nachfolgerin nach eigener Aussage Sicherheit und Vertrauen in meine Moderation.
Lebenswerk: Wie verlief der Workshop?
Isabelle Ziegler: Kurz vor dem Workshop kam Alexandras Skepsis zurück. Doch gleich nach den ersten Interaktionen zwischen der Gruppe und mir erkannte sie, dass ihre Leute dem Projekt Offenheit und Neugierde entgegenbrachten. Am Ende des Tages hatten wir gemeinsam viel erreicht: So bestand Einigkeit darüber, dass – neben dem Strategie-Thema – die Entwicklung einer „Organisation der nächsten Generation“ hohe Priorität haben musste. Wir haben Themen zur Entwicklung der „neuen Organisations-Generation“ definiert und gemeinsam vereinbart, diese modular anzugehen. Außerdem besaß die junge Geschäftsführerin ganz konkrete Informationen darüber, was der Organisation fehlte. Zum Beispiel eine „Regierungsansage“, die ihr Vater regelmäßig gemacht hatte. Alexandra, die einen ganz anderen Führungsstil bevorzugt, wurde schlagartig bewusst, dass es mindestens eine „Regierungsansage“ von ihr geben muss – eine, in der sie klarmacht, dass es ab sofort keine mehr gibt.
Lebenswerk: Wie ging es weiter?
Isabelle Ziegler: Coronabedingt haben wir einige Module virtuell und einige als Präsenzveranstaltung durchgeführt. Dabei haben wir erlebt, dass es für beide Formen Vor- und Nachteile gibt und dass selbst die Ü-60-Teilnehmer nach kurzer Zeit sehr gut mit der Technik zurechtkamen. Wir haben pragmatische und konkrete Maßnahmen für die Organisation aufgesetzt. Im Nachgang war ich als Coach zum Teil bei der Konkretisierung des Projektziels und der Vorgehensmethodik dabei. Die Umsetzung erfolgte dann überwiegend mit hausinternen Ressourcen.
Lebenswerk: Wie lautet Alexandras Fazit?
Isabelle Ziegler: Sie meinte: Unternehmensnachfolge ist mehr als eine Staffelübergabe. Ihr Unternehmen befindet sich inzwischen auf einem guten Weg, eine neue Organisationsgeneration zu formen mit einer neuen Art von Verantwortungsübernahme und Entscheidungsfindungsprozessen. Zwar hat ein langjähriger Mitarbeiter der Geschäftsleitung das Unternehmen verlassen, da er den neuen Weg nicht mitgehen wollte oder konnte. Es überwiegt aber die Zustimmung, insbesondere bei jüngeren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Lebenswerk: Inwieweit ist dieser Fall exemplarisch?
Isabelle Ziegler: Die Entwicklung der Organisation ist kein Zeitgeistphänomen, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Aufgrund der Digitalisierung nehmen Dynamik und Komplexität zu. Unternehmerinnen und Unternehmer werden immer mehr zum „Engpass“ für die vielseitigen Entscheidungen. Gleichzeitig sehen wir bei den Belegschaften zwei Typen: einerseits gut ausgebildete Mitarbeiter:innen mit einem Sinnanspruch an ihre Arbeit und andererseits weniger gebildete Menschen, die einen klaren Rahmen von Führung suchen. Familienunternehmen müssen sich beiden Phänomenen stellen, um eine nächste Generation passender Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, weiterzuentwickeln und an sich zu binden.
Isabelle Ziegler hat BWL sowie Psychologie studiert und bringt persönliche Erfahrungen aus Familienunternehmen mit. Die Diplomkauffrau coacht und begleitet seit über 20 Jahren Unternehmer und Familienunternehmen (www.coaching-fuer-familienunternehmen.com).