So hat der Glashersteller Heinz-Glas die Nachfolge organisiert

Nach 43 Jahren an der Spitze übergibt Carl-August Heinz, in zwölfter Generation CEO des oberfränkischen Glasherstellers Heinz-Glas, seinen Posten an seine Tochter Carletta Heinz. Wie funktioniert der Generationenwechsel, wenn zwei Dickköpfe aufeinandertreffen?

Carl-August Heinz (70) und seine Tochter Carletta (36) sind sich nicht einig, wie so oft. Beide philosophieren über das Motto der Firma, das schon seit dem Mittelalter die Losung der Glasmacher ist: „Es ist ein unendlich’ Kreuz, Glas zu machen.“ Das stimme schon, sagt Carletta Heinz, die Glasherstellung sei energie- und kostenintensiv, der Markt umkämpft, der Wettbewerb groß, „aber es macht schon auch Spaß“. Der Vater verwehrt sich dagegen. „Ich habe ein Problem mit dem Wort Spaß“, sagt der CEO der Firma stirnrunzelnd. „Ich würde es eher Faszination nennen oder Herausforderung.“

Auf ihre Art passen Vater und Tochter gut zusammen. Beide sind nicht zimperlich, am wenigsten miteinander. Sie korrigieren sich gegenseitig, zuweilen fallen sie sich ins Wort. Von gespielter Einigkeit der Generationen ist nichts zu sehen. Dennoch sitzen sie am selben Tisch in Carletta Heinz’ Büro am Stammsitz des Glasherstellers Heinz-Glas im oberfränkischen Kleintettau, nur wenige Hundert Meter von der thüringischen Grenze entfernt. In wenigen Tagen wird Carletta ihrem Vater auf dem Posten des CEO folgen und damit verantwortlich für die Firmengruppe, die rund 3.300 Mitarbeiter beschäftigt, in normalen Zeiten täglich etwa 4 Millionen Glasflakons für Kosmetik und Parfüm herstellt und damit zuletzt mehr als 300 Millionen Euro Umsatz erzielte. Wie haben sie sich auf dieses gemeinsame Ziel eingeschworen?

Seit 43 Jahren leitet Carl-August Heinz das Familienunternehmen, das seine Wurzeln bis ins Jahr 1622 zurückverfolgen kann (siehe Kasten). Treibende Kraft hinter seinem Einstieg war sein Onkel Heinrich Heinz, der das Unternehmen zusammen mit Carl-Augusts Vater Adolf führte. Heinrich habe ihn geradezu darauf dressiert, sich zur operativen Nachfolge zu verpflichten. „Ich war noch nicht mal eingeschult, da wollte er von mir wissen: Sag mir, machst du es, oder machst du es nicht?“, berichtet Heinz. Entsprechend früh legte er sich auf einen späteren Einstieg ins Unternehmen fest. Das unternehmerische Erbe auch in elfter Generation zusammenzuhalten und zu mehren hat für ihn seit jeher oberste Priorität. Als der Onkel Heinrich Heinz 1973 kinderlos starb, vererbte er seinem Patensohn Carl-August, der zu diesem Zeitpunkt mitten im Studium steckte, seine Anteile an der Firma.

Im Jahr 1977 – Carl-August war 27, hatte sein Kaufmannsdiplom und einen Arbeitsvertrag bei einem amerikanischen Glasproduzenten in der Tasche – starb sein Vater Adolf unerwartet früh. Statt erst einmal externe Erfahrungen zu sammeln, wurde Carl-August auf einen Schlag Alleingeschäftsführer und zusammen mit seinem jüngeren Bruder Hauptgesellschafter. „Das kam sehr abrupt – und war daher eigentlich ganz einfach“, sagt er heute. Zum einen, weil durch den Tod des Vaters ein klarer Schnitt gemacht war, wodurch er die volle Verantwortung hatte.

Zum anderen sei allen Beteiligten – Kunden, Wettbewerbern, zum Teil auch alteingesessenen Mitarbeitern – bewusst gewesen, dass er für den Job eigentlich noch nicht bereit war und eine gewisse Lernphase brauchte. „Ich konnte praktisch nicht viel, aber das hat auch keiner erwartet, und ich selbst hab’s gewusst“, erinnert sich Heinz. Für das unternehmerische Fortbestehen war die fehlende Übergangsphase seiner Meinung nach gar nicht so gefährlich, wie man vermuten könnte. „Die größte Gefahr für das Geschäft ist die Selbstüberschätzung“, sagt er. „Ich war vorsichtig – ich wusste ja, dass ich meinen Vater nicht mehr habe.“ Die fehlende Beratung durch den Vater versuchte er durch die Expertise langjähriger Mitarbeiter zu ersetzen: „Das waren Prokuristen, keine Mitgeschäftsführer, aber alles alte Haudegen mit Weltkriegserfahrung. Denen hat nichts Panik gemacht.“

Unterstützung braucht Heinz in diesen ersten Jahren auch, denn die Glasherstellung ist ein hartes Brot. Nach dem Tod des Vaters ist er erst einmal mit der Konsolidierung des Geschäfts beschäftigt, er muss den Betrieb in unmittelbarer Zonenrandlage und den 1949 gegründeten Zweigbetrieb in der Eifel am Laufen halten, später die Internationalisierung vorantreiben, um überleben zu können. Schon kurz nach seinem Einstieg 1977 stürzt die zweite Ölkrise die energieintensive Branche in ernste Schwierigkeiten und fordert seine Belastungsfähigkeit und Entschlossenheit. Unter anderem bereinigt er das Portfolio des Stammwerks, das zu diesem Zeitpunkt noch viele Standardprodukte wie Getränkeflaschen herstellt, und legt so den Grundstein für die heutige Spezialisierung als Anbieter von hochwertigem Kosmetikglas. „Sehr viel Arbeit, sehr wenig Schlaf“ ist der Nenner, auf den er diese Zeit bringt. Als Geschäftsführer und Mehrheitseigner ist er die letzte Instanz für jede Entscheidung, das ist ihm überdeutlich bewusst. Sein Vater, der sich sein Leben lang weigerte, als Direktor des Werks angesprochen zu werden, habe ihm den Lehrsatz mitgegeben: „Ich bin Unternehmer, ich bezahle alle meine Fehler selbst.“

Zwar hat die Firma in der Vergangenheit gute Erfahrungen mit Geschwister-Doppelspitzen gemacht, doch in Carl-Augusts Generation scheitert dieses Modell. Ab 1985 führt er die Geschäfte gemeinsam mit dem fast acht Jahre jüngeren Bruder Ludwig Karl-Friedrich Heinz, der seit dem Tod des Vaters wie Carl-August über ein Anteilspaket von 46 Prozent verfügte. In dem Jahr erwarb Carl-August Heinz gegen die Meinung fast aller in der Familie und der Firmenführung eine namhafte, aber in Konkurs geratene französisch-belgische Flakonglashütte und gründete eine Glasdruckerei bei Würzburg. Neben Kollisionen der Brüder bei der fachlichen Zuständigkeit bekommt der Jüngere zunehmend Angst vor der Verantwortung und den Entscheidungen, die auf der Geschäftsführung lasten. 2003 steigt er endgültig aus und verkauft seine Anteile überwiegend an Carl-August, der damit wieder allein an der Spitze des Unternehmens steht.

Das ändert sich erst zehn Jahre später, als seine Tochter Carletta mit 29 Jahren in die Firma einsteigt. Zu diesem Zeitpunkt hat sie ihr Diplom in Betriebswirtschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg abgeschlossen und auch die Mitgründung und Geschäftsführung des Start-ups CityHunters hinter sich, eines Anbieters von Teambuilding-Events, an dem sie bis heute Anteile hält. Natürlich habe er sich gewünscht, dass seine einzige Tochter ins Unternehmen kommt, sagt Carl-August Heinz. In einem Unternehmen, in dem der umfangreiche Familienstammbaum sogar eines der großen Garagentore zum Werksgelände ziert, ist das wohl kaum anders zu erwarten. Anders als sein Onkel damals sei er aber darauf bedacht gewesen, seine Tochter nicht zur Nachfolge zu drängen. Noch während ihres Studiums brachte er mehrmals alternative Szenarien ins Gespräch, in zwei Fällen ging es um konkrete Übernahmeangebote durch größere Wettbewerber oder Investoren, die bis heute immer mal wieder auf seinem Tisch landen. Für diese Versuche ihres Vaters, der Situation den Druck zu nehmen und ihr mögliche Exit-Strategien aufzuzeigen, hat Carletta Heinz bis heute kein Verständnis: „Ich habe jedes Mal gesagt: Papa, was redest du denn da? Wir haben hier eine Tradition zu verteidigen.“

Während Carl-August Heinz die Leitung der Firma Knall auf Fall übernehmen musste, plant er mit Carletta ab 2013 eine längere Einarbeitungsphase, in der sie hintereinander verschiedene Ressorts kennenlernt, erst im Controlling, später im Personalbereich und im Marketing. Zugleich scheint Carl-August Heinz bestimmte Umstände seiner eigenen Situation bei der Nachfolge – kein übermächtiger Vater, umfangreiche Entscheidungsfreiheit – auf entschärfte Art und Weise zu reproduzieren: Ihm ist wichtig, Carletta einen erfahrenen Berater an die Seite zu stellen, er hält es aber nicht für sinnvoll, diese Rolle selbst einzunehmen. Stattdessen holt er einen externen Manager in die Führung des Unternehmens, der als Mentor für Carletta fungiert. „Ich habe mich bewusst von ihr ferngehalten“, sagt er rückblickend.

Zugleich räumt er ihr umfangreiche Entscheidungsfreiheit ein, ähnlich wie er sie nach dem Tod des Vaters hatte. „Erzähl’s mir nicht, mach’s!“, sagt er. Anders als bei seinem jüngeren Bruder zu Zeiten der Doppelspitze ist er damit bei Carletta an der richtigen Adresse. Nur ein Jahr nach ihrem Einstieg etabliert sie 2014 das Thema Nachhaltigkeit als strategisches Ziel im Unternehmen und gründet ein globales Nachhaltigkeitsteam. Allein in den zwei Schmelzwannen am Stammsitz werden pro Tag jeweils 50 bis 70 Tonnen Rohstoffe bei 1.600 Grad Celsius zu Glasmasse verflüssigt. Der damit verbundene hohe Energiebedarf bietet einen großen Hebel, um ökologisch wie ökonomisch wirksame Einsparungen zu erzielen. Deshalb werden bei Heinz-Glas in Kleintettau diese Anlagen inzwischen ausschließlich elektrisch beheizt, mit Strom aus erneuerbaren Quellen. Auch die Digitalisierung des Betriebes auf allen Ebenen gehört zu den Verdiensten von Carletta Heinz, die im Grundstudium auch Wirtschaftsinformatik studiert hat. Im Sommer 2017 wird sie Chief Information Officer bei Heinz-Glas, 2019 kommt noch das Strategie-Ressort dazu, aktuell arbeitet sie an der Einführung eines neuen ERP-Systems.

Nachfolge als Holperstrecke

„Ich arbeite sehr geordnet und denke gern in Prozessen“, beschreibt Carletta Heinz ihre Arbeitsweise. „Das hat sie von ihrer Mutter“, kommentiert der Vater halb im Scherz. Tatsächlich habe er zeit seines Lebens eher aus dem Bauch heraus entschieden. Der „kreative Stil“, den Carletta ihrem Vater bescheinigt, liegt ihr fern. Die unterschiedliche Herangehensweise macht den Nachfolgeprozess zuweilen holperig, doch das hatten beide offenbar nicht anders erwartet. „Der elegante Übergang funktioniert eh nicht“, sagt Heinz. „Als ich damals angetreten bin, sind wir diese Holperstrecke nur umgangen, weil einfach niemand zweites in der Familie da war, mit dem man sich auf Augenhöhe auseinandersetzen konnte.“

Dass es Vater und Tochter dennoch gelingt, konstruktiv zusammenzuarbeiten, führt Carletta auf ihr gemeinsames Werte- und Zielverständnis zurück. „Wir wollen oft das Gleiche, haben aber sehr unterschiedliche Wege dorthin.“ Charakterlich sind sie sich ohnehin sehr ähnlich, das ist beiden klar. Carl-August Heinz beschreibt sich selbst als ruppig, rau und ungeduldig, gerade gegenüber Familienmitgliedern: „Bei denen geht man ja davon aus, dass sie es eigentlich genau so sehen beziehungsweise besser wissen müssten.“ Carletta nickt jede dieser Eigenschaften ab mit dem Kommentar: „Bin ich auch.“ Vater wie Tochter wirken auf ihre Art nachdrücklich, fast kämpferisch, er ernst und überlegt mit etwas versteckter Ironie, sie eher schlagfertig und mitteilsam. Die wohl wichtigste Gemeinsamkeit ist, dass sie das Kreuz des Glasmachens auf sich nehmen wollen, inklusive der Verantwortung, der Entscheidungen, der Fehler, die sie selbst bezahlen. In drei Schritten hat ihr Vater Carletta seit 2004 das Gros seiner Anteile übertragen, er selbst hält inzwischen nur noch ein symbolisches Prozent. „Ich bin nur noch Angestellter meiner Tochter“, sagt Heinz.

Und auch das ist er nicht mehr lange: Mit 70 Jahren gibt er den CEO-Posten an Carletta ab, so hat er es sich vorgenommen, Stichtag ist der 4. Juni 2020. Ob er gut loslassen könne? „Die Leute werden staunen“, sagt der Unternehmer lachend. Länger ins Ausland gehen, so sein eigentlicher Plan, kann er aktuell nicht. Dennoch ist ihm wichtig, eine gewisse Distanz zum Unternehmen zu schaffen. „Wenn sich hier nach einem halben Jahr alles eingespielt hat, pflege ich meine Hobbys und schaue mir als Aufsichtsrat die Monatsergebnisse an“, sagt Heinz. „Ich werde mit Sicherheit nicht wie der pensionierte Ehemann alle Topfdeckel hochheben und dann auch noch drin herumrühren.“ Wenn das gelingt, wird das „unendlich’ Kreuz“ des Glasmachens für Carl-August Heinz bald doch ein Ende haben.

Quelle: wir

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