Eine relativ neue Methode zur externen Nachfolge bringt allen Beteiligten nur Vorteile.

Sie passt besonders gut zum deutschen Unternehmertum, ist aber hierzulande noch kaum verbreitet.

Text: Claas Möller Fotos: Invers GmbH

Personalzuwachs von 35 auf 200 Mitarbeiter in neun Jahren, Vervielfachung des Umsatzes – Invers, ein Spezialunternehmen für Shared-Mobility-Dienstleistungen im Siegerland, hat sich beachtlich entwickelt. Das Besondere daran: Der heutige Mehrheitsgesellschafter Alexander Kirn (38) hat nicht nur den ersten „Search Fund“ in Deutschland gegründet, sondern mit der Übernahme von Invers im Jahre 2012 auch erfolgreich zum Abschluss gebracht.

Mit einem Search Fund können erstklassig ausgebildete Kandidaten Unternehmer werden, ohne selbst gründen zu müssen. Das funktioniert, indem sie eine funktionierende Firma übernehmen. Der „Searcher“ – manchmal auch ein Duo – bildet einen Investorenkreis, der ihm die Suche nach einem geeigneten Unternehmen für zwei bis drei Jahre finanziert; als Mittelwert haben sich inzwischen 30.000 Euro je Investor eingependelt. Erst wenn das passende Unternehmen gefunden ist, werden die großen Schecks ausgeschrieben; durch den Kauf werden die Anleger neben dem Searcher im Verhältnis ihrer Einlagen zu Gesellschaftern. In vielen Fällen handelt es sich um gestandene Unternehmerpersönlichkeiten, die den Searcher – weibliche Searcher gibt es in Deutschland noch nicht – auch nach der Übernahme beraten: Exzellenz-Netzwerk frei Haus.

Alexander Kirn fühlte sich von Größenordnung und Erfolg der Firma Invers, schon damals Weltmarktführer für Carsharing-Dienstleistungen, angesprochen. Als regelmäßiger Carsharing-Nutzer hatte er zur Firmenaktivität einen direkten Bezug. Searcher wurde er übrigens nicht etwa, weil ihm das „Gründer-Gen“ gefehlt hätte. Schon mit 14 gründete Kirn einen Betrieb für Website-Erstellung, der später zum Webhoster wurde. „Ich war getrieben vom Wunsch, Unternehmer zu werden, aber vielleicht auf etwas strukturierterem Weg als dadurch, selbst zu gründen.“ Nach einem Volkswirtschaftslehre-Studium in St. Gallen lernte er an der Harvard Business School das Search-Fund-Modell kennen. Nach einem einjährigen Intermezzo bei einer Beteiligungsgesellschaft in London fühlte er sich bereit und wurde Searcher.

Frischer Wind

Kirns Erfahrung beim Erwerb von Invers: Alt- und Neuinhaber haben sich ergänzt. „Der Gründer ist Elektroingenieur und Tüftler. Was er gemacht hat, hätte ich nicht gekonnt. Das Unternehmen weiterzuentwickeln war wiederum nicht sein Ding. Grundsätzlich bringen viele Searcher frischen Wind in ein Unternehmen.“ Dass der Senior noch eine Weile an Bord bleibt, passt gut zum Search-Fund-Modell. So kann der „Neue“ noch lernen und sich einarbeiten. Im Fall von Invers ist der Gründer heute technischer Geschäftsführer

Schub für Invers dank Zweirad-Mietgeschäft

Miet-E-Scooter mit Invers-Sharingtechnik

Jürgen Rilling begleitet als Investor und Mentor etliche Searcher und versucht, das Modell in Deutschland bekannt zu machen. Er findet, dass es besonders gut zu klassischen deutschen Unternehmertugenden passt. „Wer sein Lebenswerk über einen Search Fund weitergibt, verkauft nicht an den Konkurrenten, der das Produkt plattmacht, und auch nicht an Private-Equity-Gesellschaften, die gern das Unternehmen übernehmen, aber keine neue Managementlösung bieten.“ Für Rilling kommt noch etwas hinzu: „Ein Search Fund bietet den Nachfolger in persona. Der Abgebende kann ihn prüfen in dem Wissen: ‚Der wird in den nächsten Jahren meinen Mitarbeitern gegenüberstehen.‘“ Auch die Investoren haben den Searcher bereits eingehend auf Managementeignung hin geprüft und wären ausgestiegen, wenn sie nicht von ihm überzeugt wären.

Auch Philipp von Jagwitz sucht. Der 32-Jährige hat an der RWTH Aachen Fahrzeugtechnik studiert. Er arbeitete als Werkstudent in einer Gießerei und machte sich auch später, als er schon im In- und Ausland bei seinem Traumarbeitgeber BMW im Produktmanagement arbeitete, immer mal wieder die Hände schmutzig. Das Search-Fund-Thema packte ihn während seines MBA-Studiums an der IESE Business School in Barcelona. „Ein Unternehmer ist jemand, der Initiative ergreift. Diese Leidenschaft, zu gestalten, habe ich immer gespürt.“ Doch auf dem Weg zum Ziel warten vermutlich noch viele Rückschläge auf ihn. „Man braucht Ausdauer und Geduld, aber das braucht man ja als Unternehmer auch“, sagt von Jagwitz. Unternehmen zu identifizieren, die zwischen 5 und 15 Millionen Euro Umsatz und ein siebenstelliges Betriebsergebnis realisieren und bei denen im Idealfall Technik und Wirtschaft zusammenkommen, ist das eine, das Fingerspitzengefühl bei der Ansprache von Firmenchefs das andere: „Unternehmer möchten mit aufrichtigem Interesse angesprochen werden.“ Höfliche Wissbegierde, die man ihm unmittelbar abnimmt. Im Recherchetelefonat ist erst einmal er es, der dem Interviewer lauter interessierte Fragen stellt. „Von den Unternehmern, mit denen ich spreche, lerne ich viel darüber, was für interessante Geschäftsmodelle es gibt.“

„Ein Unternehmer ist jemand, der Initiative ergreift. Diese Leidenschaft, zu gestalten, habe ich immer gespürt.“

Philipp von Jagwitz

Großer Zuspruch

Bei den Firmenlenkern, mit denen er Kontakt aufnimmt, stößt er im Allgemeinen auf großen Zuspruch. Das geht auch Benedikt Scheffer (28) so. Der Volkswirt machte in der ersten Woche seiner MBA-Ausbildung in Singapur Bekanntschaft mit dem Search Fund, war sofort Feuer und Flamme und warf seine Start-up-Pläne über den Haufen. Er kommt aus einer erfolgreichen Unternehmerfamilie, die das Fallen und Wiederaufstehen kennengelernt hat. Scheffer sucht von Köln aus, da in Nordrhein-Westfalen viele erfolgreiche Mittelständler ansässig sind. Aussortiert hat er sehr technik- und wissenschaftsnahe sowie zyklenabhängige Branchen. „Mein Search Fund ‚Quercus Mittelstandsnachfolge‘ zielt auf Unternehmen, die in den letzten Jahren schon sehr erfolgreich gewirtschaftet haben, sodass davon auszugehen ist, dass das so bleibt.“ Eine Übernahme per Search Fund, so versichert er, brauche hohes Verantwortungsbewusstsein. „Wenn Sie ein Start-up an die Wand fahren, verlieren junge, hoch ausgebildete Leute einen Job. Die haben aber drei Monate später etwas Neues. Ein Gründer verbrennt Venture Capital und ist maximal bei null. Ein Searcher dagegen hängt mit Bankdarlehen und persönlicher Bürgschaft drin und trägt Verantwortung für Mitarbeiter und ihre Familien.“ Anders als andere finanziert Benedikt Scheffer die Unternehmenssuche mit eigenen Mitteln.

Das Modell Search Fund wurde 1984 in Harvard entwickelt und wird von Top-Business-Schools propagiert. Da die in Deutschland rar gesät sind, ist es hierzulande noch kaum bekannt. Laut Jürgen Rilling gab es in Deutschland bisher etwa 15 Search Funds; gerade in letzter Zeit kamen einige neue hinzu. Eine Search-Fund-Suche dauert im Schnitt zwei Jahre, ist aber nicht immer von Erfolg gekrönt: „Nur drei von vier Searchern kaufen eine Firma“, so Rilling. Investoren können ihre Such-Einlage verlieren. Zudem kann die Rendite auf sich warten lassen, weil Search Funds sehr langfristig ausgelegt sind. Für Investoren ist es daher sinnvoll, sich an mehreren zu beteiligen.

„Wenn die Suche nicht erfolgreich ist, liegt es eigentlich nie am Searcher“, ist Jürgen Rillings Erfahrung. „Das sind alles Top-Leute.“ Alexander Kirn meint: „Das Schlimmste ist nicht, kein Unternehmen zu kaufen. Das Schlimmste wäre, nur damit die Suche formal erfolgreich war, das falsche Unternehmen zu kaufen – etwa einen völlig überzogenen Preis zu zahlen oder sogar betrogen zu werden.“ Um Searcher, die nicht zum Zuge kommen, brauche man sich keine Sorge zu machen, weiß Kirn, der seinerseits als Mentor-Investor heute Searcher betreut. Manche gründen doch noch und machen so auf klassische Weise den Traum vom Unternehmertum wahr.

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